300 Jahre
seit der Ansiedlung der Deutschen in Rekasch
Festlichkeit und Publikationen zur 300-Jahr-Feier, am 28. September 2024, in Karlsruhe
Am 29. Juni 1924, am Sonntag nach dem Patrozinium unserer Kirche, die dem Heiligen Johannes dem Täufer geweiht ist, war in Rekasch wirklich was los: Klein und Groß, Jung und Alt, Arm und Reich fanden sich beim Gottesdienst ein, den Pfarrer Gustav Dietl in allen drei Sprachen (Schokatzisch, ungarisch und deutsch) zelebrierte. Die neue Orgel wurde besonders brillant gespielt an diesem Tag und der Kirchenchor hatte lange dafür geprobt. Nach dem feierlichen Gottesdienst aber wurde auf dem gesamten Kirchenvorplatz bis zum Bank-Gebäude gefeiert: Die Glöckchen am Geschirr der Pferde- und Ochsenwägen klangen hell und freundlich, die Wägen mit Szenen der Darstellung der Einwanderung fuhren im Kreis, Andenken-, Blumen- und duftende Süßigkeitenstände luden zum Einkaufen ein, Getränke und Jahrmarktsfahrgeschäfte mit bunten Karussells waren auf dem gesamten Platz aufgestellt, dazwischen fand ein Kirchweihzug mit Blasmusik seinen Platz. Die Mädchen hatten ihre neuesten bunten Trachten und die Frauen ihr zwar dunkles, aber bestes Gewand an. Die Männer trugen schön geschmückte Hüte und Schaftstiefel, die silbernen Knöpfe der Westen waren blank poliert. Kinder sprangen herum und das ganze Dorf war auf den Beinen. Organisiert hatte das alles Johann Müller, der Bahnhofsvorsteher von Rekasch. Die Obrigkeit der Verwaltung sowie die geladenen Gäste aus der Stadt und sogar anderen Ortschaften sowie die Schokatzen und Ungarn waren an diesem Tag nur Gäste, denn es war das Fest der Deutschen, die 200-Jahr-Feier seit der Ansiedlung nicht Rekaschs, sondern nur der Deutschen in diesem bereits bestehenden Ort.
So könnte es gewesen sein. Aber wir wissen es nicht genau, denn die Zeitzeugen gibt es nicht mehr und bis auf paar Bilder im Erinnerungsbuch der Familie Heuer, die von Herbert Stitzl, dem Sohn, unserem HOG-Archiv zur Verfügung gestellt worden sind, gibt es keine aufgeschriebene Dokumentation vom Fest. Vielleicht sind sie auch den Wirrnissen des ereignisreichen letzten Jahrhunderts zum Opfer gefallen. Umso wichtiger ist es für uns: jetzt, unseren Nachkommen und der Gesellschaft zu zeigen, wer oder was wir eigentlich doch sind und dies auch zu bewahren. Das nennt man Erinnerungskultur. Es ist ein Feiern, ein Erwähnen, vor allem aber ein Schreiben, um dem Vergessen entgegenzuwirken. Jenen, die bereits hier geboren sind, um die Identität zu stärken, jenen, die uns nicht glauben, um die Beweise zu liefern, und uns, Alten, um die Erinnerung zu bewahren.
Mit der Gelegenheit der 300-Jahr-Feier verbanden wir Rekascher am 28. September 2024 unsere diesjährige Veranstaltung in Karlsruhe: Wir feierten diesmal ohne Festmesse in der Kirche, ohne Jahrmarktstreiben, ohne Trachtenzug – zwar mit einer Tanzeinlage der „Schwabenkinder“ aus Rastatt, doch ohne Rekascher Trachtenpaare. In unserer alten Heimat feierte man Kirchweih. Dazu erschien am 20. August 2024 auch ein entsprechender Artikel aus der Zusammenarbeit von ADZ und BP. Doch die daran beteiligten Trachtenpaare aus unterschiedlichen Orten und Vereinen verbindet außer ihrem Kirchweihvater, Tibi Palikucsan, recht wenig mit der Tradition, vielmehr machen sie aus Jux und Freude am Feiern mit. Natürlich war auch diese Kirchweih mit allen wichtigen Details versehen wie eh und je: Umzug, Messe, Ansprachen, Bürgermeisterbegrüßung und Empfang bei den Vortänzern, gemeinsames Essen, Auftritt bei der Weinkelterei „Cramele Recas“, als wichtigem Sponsoren, Verlosung von Hut und Tuch und natürlich der Rekascher Blasmusikkapelle. Aber eine 300-Jahr-Feier, wie sie früher gefeiert worden wäre, war dies auch nicht mehr.
Zurück aber zu der Veranstaltung in Karlsruhe, die im „Siedlerheim“ in der Hohlohstr. 100 stattfand: Es waren mehr Leute gekommen, als erwartet, das heißt, dass es diesen auch ein Anliegen war, mitzufeiern. Deshalb auch gab es neben dem kulturellen Programm der „Schwabenkinder“ aus Rastatt, unter der Leitung von Dagmar Österreicher mit Liedern, Tänzen und kurzen Sketchen aus dem Banater Brauchtum, neben den Ansprachen und Reden des Vorstandes, neben Essen, Trinken und sich miteinander Freuens, auch etwas Greifbares: Das Stitzl-Buch – in der Transkription aus der altdeutschen in die lateinische Schrift und eine broschierte Festschrift mit Bildern und Texten zu der Entwicklung der letzten hundert Jahre.
Neuaufgelegtes Buch - Eine Rekascher Monografie von Dr. Stitzl von 1924
Wie in dieser Festschrift erwähnt wird, ist das Original des Stitzl-Buches nicht nur eine Rarität, sondern jene Exemplare, die es noch gibt, sind stark zerlesen und zerfleddert. Hinzu kommt, dass die altdeutsche Schrift von vielen nicht mehr gelesen werden kann. Deshalb haben Franz Tasch und Stefan Lehretter den eingescannten Text der Künstlichen Intelligenz anvertraut, welche einen Großteil der Transkription bewältigen konnte. Die Umschlaggestaltung stammt von Stefan Lehretter unter Zuhilfenahme der Originalfassung, welche dankenswerterweise von Andreas Stark zur Verfügung gestellt wurde. Biographische Daten sowie ein Konterfei samt Signatur des Autoren lieferte Franz Bertram im Nachwort und das Lektorat haben wir alle im Vorstand in ungezählten Schritten und Online-Konferenzen übernommen. Herausgekommen ist dieses bemerkenswerte Buch als Veröffentlichung unserer HOG.
Wer es nicht von früher kennt, dem sollen ein paar Anhaltspunkte geliefert werden: Es beginnt mit den frühzeitlichen Siedlungen auf einem Gebiet in den Flussauen, über die unterschiedlichen Bezeichnungen des Ortes von Rikas, Rygachtelue, bis hin zum heutigen Rekasch in den abenteuerlichsten Schreibweisen, es geht um Kämpfe, Besitzverhältnisse, Ethnien und immer wieder neue Zuwanderer, es geht darin um die Ortsverlegung auf den Hügel oberhalb der ständigen Überschwemmungsgebiete, die Errichtung von Gotteshäusern und Schulen, um Wirtschaftsstrukturen, um die erste und die nachfolgenden Ansiedlungen der Deutschen, die Entwicklung des Ortes zur Großgemeinde mit regem Vereinsleben bis hin zur Blütezeit in den zwanziger Jahren. Das Werk endet mit Namenslisten, in welchen sicher jede Familie noch ihre Vorfahren erkennen kann.
In dem akribisch recherchierten Buch arbeitete Dr. Stitzl mit Quellenmaterial, das heute gar nicht mehr zugänglich ist, und er reiste nach Budapest und Wien, nach Lugosch und Busiasch, um seine Nachforschungen in deutscher, v.a. aber ungarischer Sprache zu betreiben. Die 200-Jahr-Feier wird darin noch nicht erwähnt, doch wissen wir, dass er beispielsweise die wenigen Fotoaufnahmen machte, die wir heute davon haben. Organisiert und sicher auch mit einem schönen kulturellen Programm untermalt, hat die Feier damals Johann Müller, der Bahnhofsvorsteher, der sich auch bei der Einweihung des Ehrendenkmals vor der Kirche hervorhob und dazu einen eigenen Beitrag im Stitzl-Buch schrieb.
Und weil es kein großes Fest ohne Festschrift geben sollte, gibt es eine solche, das ist unsere zweite Publikation: eine Spur bescheidener, als bebilderte Broschüre mit den folgenden klar skizzierten Abschnitten zu den verstrichenen hundert Jahren seit dann. Zunächst wird der Ort selbst anhand zahlreicher Eckdaten nochmal - aus heutiger Sicht - vorgestellt, dann folgt ein Teil, der die Zwischenkriegszeit beschreibt, die Hoch-Zeit und den Niedergang, die sozialistische Zeit, die Konsolidierungsphase und die dunklen Jahre, die zur Ausreise führten. Aber auch das – nicht ganz so einfache – Ankommen in der neuen Heimat, auch hier wieder die schweren und die mittlerweile gewohnten Zeiten, wird in dieser weiterführenden Publikation angerissen.
Festschrift: 300 Jahre seit der Ansiedlung der Deutschen in Rekasch von Waltraut Rumesz
„Angerissen“ ist bewusst gewählt worden: Wir, die HOG, hoffen nämlich, dass doch noch unser gewünschtes Erfahrungsbuch unter dem Aspekt: „Ankommen der Rekascher, statt wie das Heuer-Buch „Erinnerungen an Rekasch“ geschrieben wird und vielleicht demnächst erscheint. Dies kann – genauso wenig wie Heuers das seinerzeit konnten – kein einzelner schreiben. Dazu müssten viele Ideen und Beiträge geliefert, gesammelt und ausgewertet werden. Erlebnisse wie die Flucht, Erfahrungen, die jeder von uns gemacht hatte, schöne, aber durchaus auch schmerzhafte und diskriminierende sollten festgehalten werden. Weitere Fotos, die bestimmt noch in den Alben der Eltern und Großeltern schlummern, sollten zugänglich gemacht werden, nachdem jetzt beim Durchblättern der Bücher festgestellt werden kann, dass es doch meistens die gleichen Fotos sind, die uns im Archiv zur Verfügung stehen. Dann kann das gerne eine Person oder auch eine Gruppe, wie jetzt bei der Transkription angehen, die Berichte bündeln und alles zusammen als Buch veröffentlichen. Denn Ehrenämter werden immer nur nebenzu und in der Freizeit getätigt. Der Wunsch des kürzlich verstorbenen ehemaligen Vorsitzenden, Nikolaus Lutz, war es immer, so viel wie möglich aufzuschreiben und für die Gemeinschaft festzuhalten. Er hat noch in den letzten Wochen vor seinem Tod die Bausteine für sein Vorwort geliefert und mich immer zum Aufschreiben motiviert.
Ihm verdanke ich den Antrieb und für ihn führe ich dieses Ehrenamt aus. Er wäre gerne an der Veranstaltung dabei gewesen.
Waltraut Rumesz - Die Autorin bei Ihrem Vortrag
Beide Veröffentlichungen liegen da, bereit zum Reinschmökern und zum aufmerksamen Lesen. Gefördert wurden diese Werke vom Kultur- und Dokumentationszentrum der Landsmannschaft der Banater Schwaben e.V., die inzwischen Bücher zu den unterschiedlichsten Themen anbieten, was auch dem Literaturanhang zu entnehmen ist. Es geht dabei um die anfangs genannte Erinnerungskultur, die uns als wichtiges Ziel zur Erhaltung unserer Identität vorschweben sollte. Abgegeben werden die beiden Werke gegen eine Spende beim Vorstand. Es wurden jeweils 100 Exemplare gedruckt.
Gastredner Werner Gilde vom Karlsruher Kreisverband und HOG-Vorsitzender Erwin Lehretter
Neben dieser Festrede jedoch gab es noch weitere Programmpunkte: So begrüßte der HOG-Vorsitzende, Erwin Lehretter, zunächst alle Mitwirkenden und die zahlreichen Besucher, unter denen viele Kinder der bereits hier geborenen Rekascher waren. Er nannte Ehrengäste, deren einer, Werner Gilde, die Rekascher auch begrüßte. Ferner gedachte Lehretter während seiner Ansprache in einer Schweigeminute der Verstorbenen, das waren in diesem Jahr bereits dreizehn Rekascher. In seiner Rede teilt der Vorsitzende immer auch Änderungen und Neuerungen zur Gesetzeslage mit, wie etwa der veränderten Lebensbescheinigung für Bezieher der Entschädigung nach der Russlands-Deportation. Diesmal ging es auch um die Neuerung bezüglich der Vereins-Umbenennung: Die HOG-Rekasch e.V., als eingetragenem Verein, bedarf einer Zustimmung der Mitglieder der Landsmannschaft aus unserem Ort, welche die Satzung und den Eintrag ins Vereinsregister bestätigt. Weitere Schritte dazu erfolgen demnächst.
Ferner hatten wir innerhalb des Vorstands beschlossen, unsere Treffen, deren 44. wir dieses Mal gefeiert hatten, jährlich stattfinden zu lassen, sodass jedes Treffen gleichzeitig auch ein Jahrgangstreffen ist. Dementsprechend wurden auch die Jubilare erwähnt: Das waren diesmal die Jahrgänge 1934 bis 1974 und 1939 bis 1969, also die „runden und halbrunden“ Geburtstagsjubiläen der 50- bis 90-Jährigen. Der Vorsitzende gratulierte auch den Jubilaren von „Goldenen (oder sogar noch weiter vorangeschrittenen) Hochzeiten“.
Jubilare zu einzelnen „runden oder halbrunden“ Geburtstagen
Aus diesem Anlass entstanden sowohl Fotos als auch die traditionelle Ehrung der ältesten Besucherinnen und Besucher der Veranstaltung, die jeweils mit einer Pralinenpackung und einer Flasche Rekascher Weins beschenkt wurden.
Den üblichen Unterhaltungsteil mit Tanzmusik der Rekascher Musikanten fand ab 18:00 Uhr statt, bei welchem jeder Tanzbegeisterte die passenden Rhythmen aussuchen konnte. Es unterstützte neben Erwin und Josef Birnstill sowie Günther Ramholz, Franz Tröster die Band und die Stimmung blieb freudig bis zu den Mitternachtsstunden. Leider wurde diesmal ausnahmsweise gleichzeitig der ansonsten erst im Oktober stattfindende „Traubenball“ in Karlsruhe gefeiert, was unserer Veranstaltung einige Tanzfreudige, aber auch den Auftritt der Kindertanzensembles „Erdbeer-Tanzgruppe“ vermasselte, die wir hoffentlich bei der nächsten Veranstaltung begrüßen dürfen.
(Waltraut Rumesz)